Am Neunundzwanzigsten Juli Neunzehnhundertfünfundneunzig startete ich, mit Neunzehn Jahren Neun Monaten und zwei Tagen, das Experiment mit dem Umzug aus der damals noch, so zu nennenden Provinz, Erfurt, in die damals auch schon ziemlich hippe und angesagte Megacity Berlin, um meine zweite richtige Arbeitsstelle anzutreten, wenn ich den davor abgeleisteten Zivildienst als erste Arbeitsstelle ansehe und Ferienjobs mal weglasse.
Manche würden sagen „was für ein Albtraum Berlin, bist du verrückt geworden?“ Nein, ich war jung, unerschrocken, enthusiastisch und auch ein bisserl aufgeregt. Der Umzug verlief schnell und es brauchte nur zwei beladene Alfa Romeo 33 (einen rot und einen grün), die mir die wenigen Sachen nach Berlin brachten. Ich zog am Neunundzwanzigsten aus der elterlichen Wohnung aus und in ein 13 qm kleines Zimmer im Wedding zur Untermiete ein – mit eigenem Eingang im2. Stockwerk und in eine eigentlich tolle Maisonette-Wohnung. Bad und Küche im unteren Stockwerk konnte ich mitbenutzen. Das ging alles solange gut, bis sich meine Vermieterin Katzenjungen angeschafft hat. 🙁
Und wenn man da nicht hinterher ist und sich kümmert (nicht der Untermieter – sind ja nicht seine), wisst ihr was passieren kann – mit den Tieren, mit der Wohnung, usw. Das ist dann kein wirklicher Spaß mehr – Tiere sind zwar manchmal sehr niedlich, aber werden eben groß und sind eben kein Spielzeug! und es erwächst daraus Verantwortung und Pflichten… Und jetzt braucht ihr euch nicht mehr zu wundern, warum ich nicht gerade ein Katzenfreund bin. Aber das ist eine andere Geschichte…
Jedenfalls war die Wohnung Voraussetzung für den Start in dieses Berufsleben in Berlin. Keine Wohnung in Berlin, kein Job in Berlin – naja so einfach war das. Die Wohnung war dann eingeräumt, die helfenden Hände aus der Family 🙂 waren wieder auf dem Heimweg nach Thüringen – sie mussten ja auch wieder am Montag, Einunddreißigster August, arbeiten. Nun war ich in der BigCity ein wenig lost und allein (keine Sorge nicht lange). Ich hatte nun zwei Tage, um in Berlin das Kennenzulernen, was ich die ersten, nächsten Tage, so brauchen werde:
- Erstens: Wo kann ich was zu Essen einkaufen und zuvor viel wichtiger, wie komme ich an Geld, um es einzukaufen zu können. Die, die sich erinnern können, Bezahlen mit Karte, so wie heute – eine Segen, war damals noch die Seltenheit und bei den Discounter ja sowieso nicht – Bargeld oder Euroschecks hieß es zu benutzen.


- Zweitens: Wie komme ich zur Arbeit und zuvor, wo bekomme ich Fahrkarten und was kostet die Fahrkarte. Nein, es gab Zeiten, zu denen gab es noch kein Internet, sowie wir es kennen – es gab BTX und langsame Modems – ja, so alt bin ich schon 😉 und geschweige denn mobile Geräte mit verwendbarem Internet (das hat noch ein paar Jahre gedauert).


Nur mal so: Neunzehnhundertsechsundneunzig hatte ich mein erstes eigenes mobiles Telefon mit Minutenpreisen zu eine Mark und neunundachtzig Pfennig im billigsten Zeitraum. Und das hatte ich nur, weil ich noch keinen eigenen Telefonanschluss hatte und die Anrufe über Telefonzellen (ja die gabs auch noch, umständlich waren – auch wenn man die Telefonzellen direkt anrufen konnte).
- Ansonsten war es einfacher an Fahrkarten zu kommen als damals in Erfurt.
- Im Bus beim Fahrer – aber immer schon mit der freundlichen Berliner Art „ham‘ ses nicht kleener“ oder „Scheine nehm‘ ick nich“),
- in der Tram noch am Automat direkt in der Bahn (das ist heute weitgehend in Berlin abgeschafft) oder
- für die S- oder U- Bahn dann am Bahnsteig.
- Für drei Mark und siebzig Pfennige konnte ich einhundertzwanzig Minuten mit Umsteigen in Fahrtrichtung unterwegs sein. Das waren schon andere Preise als in der Provinz aber auch ein ganz anders Streckennetz
- Im Bus beim Fahrer – aber immer schon mit der freundlichen Berliner Art „ham‘ ses nicht kleener“ oder „Scheine nehm‘ ick nich“),
- Wo meine Arbeitsstelle war, habe ich mir schon vor den Einstellungsgesprächen im Mai Fünfundneunzig mühselig erarbeitet, da die meisten Berliner sich selbst nicht in ihrer eigenen Stadt auskennen und selbst, wenn wir schon fast vor dem gesuchten Gebäude stehen, nicht wissen, wo die entsprechende Lokation ist. Ich stand damals auf der Kurfürstenstraße und wollte zur Bayreuther Str.. Aber: auch damals waren die Berliner in Berlin selten und in Unterzahl, da es auch damals schon viele Zugereiste, wie mich gab 😉
Am Montag, den Dreißigsten Juli, habe ich mich erst einmal mit U-Bahn und Bus, so glaube ich noch, auf eine Forschungsrunde durch Berlin gemacht – einmal zur Arbeit und zurück. Es war schon irgendwo alles so aufregend und neu. Die Fahrten mit der U-Bahn waren schon noch etwas Besonderes. Ich erinnere mich gar nicht, ob ich bei den ein oder zwei Berlinbesuchen nach Neunzehnhundertneunzig überhaupt schon mit der U-Bahn gefahren war. Jedenfalls dauerte eine Strecke schon eine kleine Ewigkeit. Was sich damals schon nicht so positiv auf mein Verhältnis zum ÖPNV auswirkte. Soweit ich mich erinnere, habe ich die U Acht genommen und bin dann entweder in die U Eins, Zwei oder Drei (…war das nicht mal ’ne Fernseh-Rate-Show für Kinder 😉 ) umgestiegen. Und das ist schon so lange her – an den eigentlichen, damaligen Arbeitsweg zwischen Wedding und Schöneberg habe ich nicht wirklich Erinnerungen mehr – war ja auch nur für ein halbes Jahr – siehe oben Katzen – dann bin ich vom Norden in den Süden Berlins gezogen (und Spoiler – das war viel besser. Deswegen habe ich dort dann auch 10 Jahre gewohnt)
- Die Stecke könnte, wie folgt, damals ausgesehen haben
- U Acht ab Pankstraße Richtung Leinestraße
- Umsteigen am Kottbusser Tor in die U Eins oder U Drei
- Weiterfahrt bis Wittenbergplatz
- Wo meine Schule sein wird, wusste ich zu diesem Zeitpunkt – am Dreißigsten Juli noch gar nicht so genau – ich wusste nur, es wird irgendwo im Süden der Stadt sein – also jwd (janz weit draußen). Das habe ich alles erst am ersten Arbeitstag erfahren und konnte mich dann erst auf die Suche begeben -letztendlich befand sich das Schulzentrum in Lichterfeld Süd
- Bus M Siebenundzwanzig ab Pankstraße Richtung Gesundbrunnen
- Umstieg in die S-Bahn (z. B. S Fünfundzwanzig) Richtung Süden
- Ausstieg an S Lichterfelde Süd
- Weiter mit dem Bus M Vierhundachtzig oder Einhundertvierundachtzig zur Lippstädter Straße
Aber jetzt zum eigentlichen zurückzukommen: am Ersten August Neunzehnhundertfünfundneunzig startete dann dein meine beruflicher Werdegang in Berlin um Zehn Uhr in der Bayreuther Straße Siebenunddreißig.
Und die Vorstellung, die man sich so als relativ junger Mensch nach eins bis zwei Jahren in den Kopf setzt: Ich schnuppere hier mal rein und nach spätestens fünf Jahren bin ich dann weg, bei der nächsten Stelle.
Das relativiert sich recht schnell. Aus Berlin wollte ich gleich schon nicht mehr weg. Hier war es viel zu aufregend und hier ging die Post ab, was ich vom damaligen Erfurt nicht sagen konnte, wo noch um 22 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt wurden (Achtung Werbung: das hat sich bis heute gewaltig geändert und ich kann nur empfehlen mal nach Erfurt (nur hier nicht mit dem Rad ) und Thüringen zu kommen – es ist wieder alles hergerichtet und es hat seinen eigenen Flair und toll anzuschauen)
Naja inzwischen habe ich sowieso einen anderen Blick darauf gekommen. Und alles dreht sich und bewegt sich, auch heute noch in Berlin. Und im Handumdrehen waren damals Fünf, Zehn, Zwanzig und jetzt mittlerweile sind Dreißig Jahre vergangen. Es waren nicht immer einfache Jahre – aber wer will schon einfach – es war aber immer spannend, aufregend, nie langweilig. Es gab immer was Neues. Viele Steine wurden angefasst, einige wurden umgedreht, manche doch einfach wieder hingelegt. Mal ging es bergab, mal bergauf – und so kann es weitergehen, naja beruflich hoffe ich nicht auf weitere 30 Jahre 😉
Inzwischen lebe ich länger in Berlin als in Erfurt. Berlin ist mein Zuhause und Erfurt dennoch meine Heimat, meine Wurzeln – das wird auch so bleiben. Inzwischen bin ich in Berlin zwar zwei Mal umgezogen, aber beschäftigt bin ich ich noch am selben Standort (wenn ich mal den Wechsel von einem Haus in der Bayreuther zum anderen Hause in der Keithstraße übersehe) und beim selben Arbeitgeber, bei dem ich Neunzehnhundertfünfundneunzig angefangen hatte – naja fast: das Experiment der Ausgründung der IT vor zehn Jahren dort und damit auch mein Wechsel in diese ausgegründete GmbH endete Mitte dieses Jahres wieder und wir kommen alle (fast alle) wieder zur Mutter zurück. Das ist aktuell schon spannend und so richtig muss ich meinen Platz nun erst wieder finden – Herausforderungen und Ideen gibt es genügend.
📍 -Alle Orte in Berlin: Arbeiten, Wohnen, Uni seit 1995